Interview mit Kirchenpräsident Jung
Buß- und Bettag seit 25 Jahren als Feiertag gestrichen - Kommt er wieder?
Vor 25 Jahren wurde der Buß- und Bettag als gesetzlicher Feiertag zur Finanzierung der Pflegeversicherung abgeschafft. Wie beurteilen Sie heute die Streichung?
Es gab vor 25 Jahren einen großen gesellschaftlichen Druck, die Pflegeversicherung endlich einzuführen. Der Wegfall des Buß- und Bettages wurde zur Gegenfinanzierung eingefordert. Das war eine schlechte Entscheidungssituation, da die evangelische Kirche sich immer für die Einführung der Pflegeversicherung ausgesprochen hat. Da der Buß- und Bettag im Leben der Gemeinden damals eine eher geringe Bedeutung hatte, wurde an dieser Stelle aus heutiger Sicht nicht energisch genug Widerstand geleistet. Das haben im Nachhinein viele bedauert.
Wie wird der Bußtag seitdem in den Gemeinden begangen? Wie viele Gottesdienste gibt es an diesem Tag, und wie ist die Resonanz?
Das Spannende war damals, dass der Buß- und Bettag nach der Abschaffung als arbeitsfreier Feiertag geradezu eine Renaissance erfahren hat. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie gut die Gottesdienste in den ersten Jahren nach der Abschaffung besucht waren. Da war sicher auch noch der Protest gegen die Abschaffung des Feiertages mit verbunden. Aber seitdem wird der Buß- und Bettag von vielen deutlich wertschätzender begangen als zuvor. Viele Gemeinden bieten Gottesdienste an. Oft spielen dabei gesellschaftspolitische Themen eine Rolle. Das ist auch völlig angemessen. Beim Buß- und Bettag geht es ja darum, zu fragen, wo wir als Gesellschaft in Schuld verstrickt sind oder selbst Unrecht und Ungerechtigkeit hervorbringen. Wo wir also zur Umkehr herausgefordert sind.
Gab es nach dem Scheitern der Volksbegehren in Hessen und Rheinland-Pfalz weitere Vorstöße, den gesetzlichen Feiertag wiederzubekommen?
Es geht meines Erachtens nicht um die Frage, etwas wiederzubekommen. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation – gerade infolge der Coronakrise – ist es zurzeit viel wichtiger, dass wir uns als Kirchen für den Schutz bestehender Feiertage einsetzen. Wir erleben aktuell schon eine starke Diskussion um die Aushöhlung des Sonn- und Feiertagsschutzes, bei der wir stark gefordert sind. Wir brauchen gerade jetzt gemeinsame Zeiten des Abschaltens und Innehaltens.
Gibt es für Sie eine Notwendigkeit für einen solchen Tag der Besinnung, der Umkehr?
Absolut. Ein Tag der Besinnung, der in besonderer Weise auch gesellschaftliche Entwicklungen in den Blick nimmt, wäre wichtig. Deshalb bin ich froh, dass Gemeinden am Buß- und Bettag festhalten. In der EKHN beteiligen wir uns in diesem Jahr sehr bewusst an der Aktion „„Zukunft OFF-EN“. Sie rückt die Frage ins Zentrum „Wo sehe ich die Zukunft offen – und wo fürchte ich das OFF?“. Zum christlichen Glauben gehört die Hoffnung, Irrwege zu erkennen und in eine gute Zukunft gehen zu können. Und wenn eine gesellschaftliche Debatte über zusätzliche Feiertage geführt wird, hätte für mich ein Tag mit dem Anliegen des Buß- und Bettages eine hohe Priorität.
Der Theologe und Trauerexperte Reiner Sörries hat kürzlich angeregt, den Bußtag in diesem Jahr als besonderen Gedenktag für die Corona-Opfer zu begehen. Was halten Sie davon?
Das Gedenken an die Menschen, die in dieser Zeit ihr Leben verloren haben, hat am Ewigkeitssonntag einen guten Platz. Dafür wird dieser Tag sicher auch in vielen Gemeinden genutzt. Jetzt sind wir noch mitten in der Krise. Vielleicht wäre es gut, nach der Krise einmalig einen Feiertag zu begehen – der Besinnung, Gedenken und Dank Raum gibt.
2018 haben Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein den Reformationstag zu einem neuen gesetzlichen Feiertag erklärt. Damit ist an diesem Tag in neun Bundesländern arbeitsfrei. Wenn schon der Bußtag verloren ist – sollte die EKHN nicht dafür eintreten, dass der Reformationstag künftig auch in Hessen und Rheinland-Pfalz zum arbeitsfreien Feiertag wird?
In Nordeutschland haben wir eine andere Situation. Dort gibt es weniger Feiertage als bei uns. Außerdem gehört zur EKHN auch ein Teil von Rheinland-Pfalz, wo der 1. November mit Allerheiligen bereits ein Feiertag ist. Noch einmal: Ich halte es zurzeit für wichtiger, die bestehenden Feiertage zu schützen.
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