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Interview mit Schulpfarrerin Neumann

Corona in der Schule: "Alle sind viel dünnhäutiger"

Schüler nimmt im Klassenraum die Schutzmaske ab.

Im Unterricht darf die Mund-Nase-Bedeckung abgenommen werden. In den Pausen aber heißt es: Masken auf! So sehen des die Regeln für den Schulstart nach den Sommerferien 2020 in Rheinland-Pfalz und Hessen vor.

Schulpfarrerin Tina Neumann ist Religionslehrerin und Schulseelsorgerin an der Wiesbadener Leibnizschule. Sie steht Schülerinnen und Schülern, aber auch dem Lehrerkollegium und Eltern zur Seite, wenn sie Unterstützung brauchen. Mit welchen Themen sie aktuell als Seelsorgerin konfrontiert ist, erzählt sie im Interview.

Wie erleben Sie Ihren Berufsalltag derzeit?

Tina Neumann: Die Arbeitsbelastung ist für alle natürlich sehr viel höher als sonst. Es fehlen teilweise mehr Schülerinnen und Schüler im Unterricht, weil sie krank sind, in Quarantäne oder ein Elternteil zur Risikogruppe gehört. Die Kollegen unterrichten dann diese Schüler im Distanz-Unterricht.

Hinzu kommt die ständige Planungsunsicherheit: Klassenfahrten, Ausflüge, Austauschprogramme, Projekte – all diese Dinge wurden geplant, und mussten dann wieder abgesagt werden. Das ist nervenaufreibend. Die Fülle an Anordnungen, die manchmal auch widersprüchlich sind oder sich eben schnell ändern, macht uns – aber vor allem der Schulleitung – natürlich zu schaffen. Da hat man gerade eine Mail rausgeschickt, da kommt schon wieder was Neues. Und natürlich stehen dabei alle unter großem Druck. 

Wie ist die Stimmung im Lehrerkollegium?

Neumann: Ich nehme trotz allem einen guten Zusammenhalt innerhalb des Kollegiums wahr. Wir versuchen, wann immer es geht, kreative Lösungen zu finden. Gute Strukturen, Ruhe bewahren, viel miteinander reden – anders geht es nicht. Nur so kann man auch den Schülern Stabilität vermitteln. Natürlich gibt es gelegentlich auch Unmut, wenn sich Kolleginnen und Kollegen nicht genügend in Entscheidungsprozesse eingebunden fühlen.

Wie sind Sie als Seelsorgerin gefragt?

Neumann: Es gibt mehr Anfragen von Schülerinnen und Schülern, aber auch aus dem Kollegium oder von Eltern. Eine große Hilfe ist unser Patensystem: Ältere Schülerinnen und Schüler sind Paten für die Jüngeren. Sie haben einen sehr guten Draht zu ihnen und stellen den Kontakt zu mir her, wenn sie Probleme erkennen. Generell nehme ich wahr, dass alle viel dünnhäutiger sind. Manchmal fängt im Unterricht eine Schülerin oder ein Schüler etwa plötzlich an zu weinen. Seelische Verletzungen brechen derzeit schneller auf.

Mit welchen Themen kommen die Schülerinnen und Schüler?

Neumann: Corona deckt Probleme auf, die in der Regel bereits da sind, und wirkt dann wie ein Katalysator: häusliche Gewalt, streitende Eltern, die Kontaktbeschränkungen, Ängste – damit sind die Schülerinnen und Schülerinnen teilweise belastet und mit solchen Themen kommen sie auch zu mir. Aber auch das Team an Beratungslehrerinnen und -lehrer und unsere Vertrauenslehrer sind Anlaufstellen für Schülerinnen und Schüler in Not.

Ist Corona auch Thema im Religionsunterricht?

Neumann: Ja, häufig. Es geht oft darum, warum Gott das zulässt, es geht um Freiheit und Verantwortung und wie beides zusammenhängt – ich bin froh, dass es für diese Gespräche Raum gibt. Wir planen derzeit auch unseren Schul-Adventsgottesdienst am letzten Freitag vor den Schulferien – draußen, natürlich unter Corona-Bedingungen. Ob das so klappt, wird sich zeigen. 

Haben Sie persönlich Angst?

Neumann: Nein – ich bin generell kein ängstlicher Typ. Alle versuchen, die Schutzmaßnahmen gut und verantwortungsvoll umzusetzen, denn uns allen ist klar: Wenn wir den Schulbetrieb weiter laufen lassen wollen, geht es nur so.

Was vermissen Sie am meisten?

Neumann: Ich vermisse das Singen sehr. Und ich glaube, das geht ganz vielen Schülerinnen und Schülern in einer Schule mit musikalischem Schwerpunkt ähnlich.

Von Andrea Wagenknecht


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