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Freistaat Flaschenhals

Das ehemalige Schmugglerparadies der Nassauer

Hinweisschild: "Historische Freistaat Flaschenhals 1919 - 1923"

Freistaat Flaschenhals - Hinweisschild am Rheinufer

An der südöstlichen Flanke des heutigen Evangelischen Dekanates Nassauer Land erstreckte sich vor 100 Jahren der „Freistaat Flaschenhals”. Allerdings war nach vier Jahren Schluss mit der Freistaaterei. Heute wirbt der Tourismus mit dem Flaschenhals, nicht nur wegen des guten Tropfens, der in dieser Gegend abgefüllt wird.

Von Hartmut Metzger

Aus heutiger Sicht ist es kaum zu glauben: Als nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg die alliierten Sieger Gebiete entlang des Rheins besetzten, übersahen sie einen kleinen Landstrich zwischen Koblenz und Mainz. Auf der Karte ähnelt er einem Flaschenhals. Der Bürgermeister des Rheinstädtchens Lorch rief daraufhin am 10. Januar 1919 kurzerhand den „Freistaat Flaschenhals” aus, führte bunte Geldscheine ein - und die Region wurde zum Schmugglerparadies.

Eine Posse der Besatzungsgeschichte

Die Geschichte des kleinen Freistaats, der vier Jahre lang existierte, ist abenteuerlich: Sie beginnt mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands-Abkommens am 11. November 1918 im Wald von Compiègne. Zusätzlich zur Besetzung des linken Rheinufers verlangten die Siegermächte eine rechts des Rheins gelegene Besatzungszone. Drei Brückenköpfe sollten verhindern, dass Deutschland die im Rheinland vorhandenen Bodenschätze und Industrieanlagen nutzt, um wieder aufzurüsten.

Daher wurde ein jeweils 30 Kilometer breiter Halbkreis um drei linksrheinische Städte gezogen - Köln, Koblenz und Mainz. Die im Halbkreis liegenden rechtsrheinischen Gebiete wurden von den alliierten Truppen besetzt. Die Siegermächte hatten geplant, dass sich die Kreise überschneiden und kein Gebiet zwischen den Brückenköpfen unbesetzt blieb.

Die Flasche im Niemandsland

Doch zwischen Mainz und Koblenz ging das schief. Zwischen der amerikanischen und der französischen Besatzungszone blieb jener kleine Landstrich frei, der optisch dem Hals einer Flasche glich. Er gehörte keinem Besatzungsgebiet an und war auch vom Deutschen Reich abgeschnitten.

Der zuständige Landrat von Limburg an der Lahn residierte unerreichbar im Niemandsland und übergab daher die Verwaltungsaufgaben des Gebiets an den Lorcher Bürgermeister Edmund Pnischeck. Der schritt, sicher nicht ganz bierernst, zur „Staatsgründung”: Am 10. Januar 1919 erklärte er das flaschenhalsähnliche Gebilde, das sich zum Rhein hin öffnete, für unabhängig.

Geld kann man nicht essen

Doch bald wurde klar, dass die Versorgung des „Freistaats” nicht zu sichern war. Die Alliierten hatten das Gebiet von der Außenwelt weitgehend abgeschnitten. Zwar druckten die findigen Rheinländer ihr eigenes Geld zum Gebrauch im Flaschenhals. Weil man Geld aber nicht essen kann, mussten auch Waren besorgt werden. Nach Lage der Dinge ging dies nur durch die beiden angrenzenden Besatzungszonen: also durch Schmuggel.

Dem französischen Kommandeur war die kleine Exklave von Anfang an ein Dorn im Auge - der florierende Schwarzhandel umso mehr. So ließ er am linksrheinischen Ufer starke Scheinwerfer zur Überwachung der Grenze aufstellen. Nach vier Jahren des fantasievollen Protests und passiven Widerstands wurde der „Freistaat Flaschenhals” am 25. Februar 1923 von marokkanischen Hilfstruppen der französischen Armee besetzt und Pnischeck verhaftet. Damit endete die Existenz des Freistaats Flaschenhals - zumindest vorläufig, wie seit 1994 die Tourismus-Initiative zeigt.

Tourismus entdeckt Geschichte

Es war Gilbert Sulek, der inzwischen verstorbene Inhaber des Lorcher Campingplatzes, der 1994 auf die Idee kam, die einmalige Zeitspanne des kleinen Landstrichs in den Jahren 1919 bis 1923 unter dem Namen „Freistaat-Flaschenhals-Initiative” zu vermarkten.

Betrieben wird sie von Weingütern, Hotels und dem Campingplatz. Die „Ministerien” sind mit Winzern und Hoteliers gut besetzt. Neben dem Präsidenten, dem Kauber Winzer Peter Josef Bahles, und der Finanzministerin gibt es das Auswärtige Amt, das Ministerium des Inneren sowie alle weiteren bekannten Ministerien.

Jubiläumsfeier im Mai

Das 100-Jahr-Jubiläum feiert die Initiative am 18. Mai. Dann lässt sich der „Freistaat Flaschenhals” in den historischen Waggons eines Dampfzugs entlang des Rheins besuchen. An fünf Haltestellen erwarten die Besucher Informationen über den historischen Freistaat - jeweils präsentiert mit einer Weinprobe.

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