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Corona und Obdachlose

Der Traum vom Zuhause bleiben

Obdachloser im Winter

Obdachloser im Winter

Keine Schule, keine Kita, Arbeiten im Homeoffice. Für viele Menschen steht der Alltag Kopf. Immerhin können sie sich in ihren eigenen vier Wänden zurückziehen, haben ihre Lieben bei sich. Wohnungslose dagegen sind der Situation hilflos ausgeliefert. Einrichtungen versuchen zu, improvisieren.

Die Einkaufsstraßen in den Innenstädten sind in diesen Tagen menschenleer. Schließlich sollen alle zu Hause bleiben, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Für viele Obdachlose bedeuten leere Straßen jedoch Angst um ihre Existenz. Sie sind auf das Kleingeld der Passanten sowie Pfandflaschen angewiesen, um sich zumindest das Nötigste zu kaufen. Außerdem gehören wohnungslose Menschen zu den Corona-Risikogruppen, da soziale Kontakte kaum reduzieren können. Sie können sich nicht in die eigene Wohnung zurückziehen und dort Schutz finden. Das Problem geht weiter: Kleiderkammern und Tafeln schließen, auch Notunterkünfte kommen allmählich an ihre Grenzen.

Einrichtungen mit Beschränkungen offen

Noch sind diakonische Hilfseinrichtungen wie etwa der Tagestreff Weser 5, die Frankfurter Bahnhofsmission sowie die Frauenheime Lilith und Hannah geöffnet, wie Michael Frase, Leiter der Diakonie Frankfurt und Offenbach, berichtet. In Weser 5 herrschen strengere Regeln als sonst: Zwei Kollegen kontrollieren vor dem Eingang, damit sich nicht mehr als 50 Gäste in den Räume von Weser 5 aufhalten. Ähnlich verfährt die Bahnhofsmission. In Weser 5 bekommen die Bedürftigen mittags nach wie vor eine warme Mahlzeit. Falls das aufgrund fehlender Mitarbeiter nicht mehr möglich sein sollte, sollen Lunchpakete an die Obdachlosen verteilt werden, kündigt Frase an. Das geht schneller und ohne jeglichen Körperkontakt.

Angespannte Stimmung unter den Obdachlosen

Die Stimmung unter den Klienten sei angespannt, erzählt Diakoniepfarrer Frase. Bei vielen sei das Verständnis für die Lage nicht da, bedauert er. Verschwörungstheorien und Fake-News machten unter den Wohnungslosen die Runde. Die Mitarbeiter müssten neben ihren eigentlichen Aufgaben noch Aufklärungsarbeit leisten.

Regelmäßig stehen Frase und seine Kollegen im Austausch mit der Stadt Frankfurt, treffen sich telefonisch zu Krisensitzungen. Denn was passiert, wenn der Härtefall eintrifft und sich ein Besucher mit dem Virus ansteckt? Im Hamburger Winternotprogramm für Obdachlose ist das bereits eingetreten: Dort befinden sich gerade mehr als 300 Menschen in dem Gebäude in häuslicher Isolation, weil ein Besucher positiv auf Covid-19 getestet wurde.

Suche nach Lösungen für infizierte Obdachlose

Alle Obdachlose isolieren – „das wird bei uns nicht passieren“, versichert Frase. In Unterkünften für Obdachlose, aber auch für Drogenabhängige und Flüchtlinge, lasse sich eine Quarantäne nicht umsetzen, ist Frase überzeugt. Oftmals lebten die Menschen bereits auf engsten Raum zusammen, nutzten etwa eine Gemeinschaftsküche oder ein Gemeinschaftsbad. Und gerade Drogensüchtige könne man im Zweifel ohnehin nicht davon abhalten, sich den Stoff draußen zu besorgen.

Einen Tagestreff wie Weser 5 abzuriegeln mache ebenfalls keinen Sinn, so Frase. Schließlich würden die Menschen spätestens nach dem Mittagessen draußen vor der Tür wieder mit anderen Obdachlosen zusammenstehen.

Stattdessen solle in einem solchen Fall nur die infizierte Person isoliert werden. Alleine das stelle schon eine große Herausforderung dar. Schließlich seien einige obdachlose Menschen zudem alkohol- und drogensüchtig oder hätten psychische Probleme.

Dafür müsste es eine oder am besten mehrere gesonderte Einrichtungen geben, sagt Frase. Über mögliche Gebäude sind Diakonie und Stadt derzeit im Gespräch. Das größte Problem dürfte auch hier die Personalfrage sein. „Wer will das schon machen?“, fragt sich Frase. Das Ansteckungsrisiko sei hoch, zudem seien die Probleme im Umgang mit den isolierten Personen sehr komplex. Die Mitarbeitenden in den Einrichtungen seien bereits jetzt hoch belastet. „Die haben meinen ganzen Respekt“, betont der Leiter.

Franziskustreff bangt um Mitarbeitende

„Wir haben noch so lange auf, bis es irgendwie geht“, erzählt auch Bruder Michael vom Franziskustreff in Liebfrauen in Frankfurt. Er klingt fröhlich und optimistisch. „Gerade wir dürfen jetzt den Mut nicht verlieren“, betont der 38-Jährige. Die Anlaufstelle in Trägerschaft der Caritas öffnet weiterhin ihre Pforten für bedürftige Menschen – aber auch hier mit Einschränkungen: Im Speisesaal ist nur noch Platz für zwölf Gäste, vorher waren es mehr als 30. Es gibt Einlasskontrollen, seit einigen Tagen steht vor dem Eingang eine mobile Wasch-Station mit Seife und Desinfektionsmittel. Für ihr Frühstück haben die Besucher außerdem nun nur noch 15 Minuten Zeit, bisher waren es 45 Minuten. Überall hängen Plakate mit Hygienehinweisen. Die 50 Cent für das Frühstück entfallen.

Bisher funktioniert alles gut, wie Bruder Michael berichtet. Wäre da nicht die Sache mit dem Personal. Schon jetzt sind alle ehrenamtlichen Helfer über 65 Jahre nicht mehr im Einsatz. Per Mail haben Bruder Michael und seine Kollegen die insgesamt 60 Mitarbeiter darauf hingewiesen: Wem nicht wohl bei der Sache ist, bleibt bitte zu Hause. „Wir können das nachvollziehen“, betont der Geistliche. Einige ehrenamtliche, junge Kapuziner hätten sich inzwischen gemeldet und bedienen nun die Besucher.

„Die Menschen sind einfach total dankbar, dass wir noch da sind“, erzählt Bruder Michael seine Erfahrungen mit den Obdachlosen in den vergangen Tagen. Aber: „Auch unser Kräfte sind endlich“, sagt er. Wenn nicht mehr fünf Mitarbeitende pro Tag finden, müsste auch der Franziskustreff die Arbeit einstellen.

Obdachlose aus Osteuropa kehren zu Familien zurück

Die Stadt Frankfurt versichert: Die Einrichtungen sollen so lange wie möglich offen bleiben, wie Manuela Skotnik, Sprecherin des Sozialdezernats betont. Der Besucherandrang könnte sogar etwas zurückgehen: An der U-Bahn-Station Eschenheimer Tor beobachte der Frankfurter Verein für soziale Notstätten gerade, dass immer weniger Obdachlose dort Schutz suchen. Bei den regelmäßigen Zählungen waren es nach Angaben von Skotnik Anfang März noch 298 Menschen, aktuell nur noch 163 Menschen. Skotnik vermutet, dass vor allem Bedürftige aus Osteuropa zurzeit in die Heimat zurück zu ihren Familien gingen. Schließlich lasse sich in Deutschland aktuell kein Geld machen mit Pfandflaschen und Co.

Die Diakonie hat derweil zu Spenden für Obdachlose aufgerufen. Die Spendenaktion läuft über die Facebook-Seite der Diakonie.

Von Carina Dobra


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