Atomkraft und Erdgas
Energiewende in Gefahr?
Die EU-Kommission hat Anfang Februar 2022 Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich eingestuft. Hintergrund ist die EU-Taxonomie, bei der es um die Kategorisierung von Finanzprodukten nach ihrer Nachhaltigkeit geht. Laut Medienberichten soll die Taxonomie die Weichen dafür stellen, dass Anleger ihr Geld eher in umwelt- und klimafreundliche Wirtschaftsbereiche investieren. Doch die Einstufung der EU-Kommission von Erdgas und Kernkraft als grüne Energie weckt auch Widerspruch. Zudem hat die Ukraine-Krise die Abhängigkeit von großen Erdgas-Lieferanten deutlich gemacht.
Anlässlich der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 hatte sich Kirchenpräsident Dr. Volker Jung bereits zur Atomenergie geäußert: „Die ihr innewohnende zerstörerische Kraft ist nicht zu verantworten.“ Diese kritische Haltung teilt auch Pfarrer Dr. Hubert Meisinger, Referent im Bereich Umwelt und digitale Welt im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN. Im Interview schätzt er aus seiner Sicht die Entscheidung der EU-Kommission ein und zeigt Handlungsspielräume für jeden Einzelnen, für Initiativen, Kirche und Politik auf.
Die EU hat Atomkraft und Erdgas als nachhaltig eingestuft. Was halten Sie von dieser Entscheidung?
Hubert Meisinger: Ich halte diese Entscheidung für falsch. Sie ist politisch und wirtschaftlich motiviert, kommt auf der einen Seite von Frankreich, Polen und anderen Staaten mit Blick auf deren Interesse an Atomkraft und auf der anderen Seite von Deutschland und anderen Staaten mit Blick auf deren Interesse an Gas – ich denke dabei z.B. an die Diskussion um Nordstream 2 – entgegen. Ökologisch oder sozial nachhaltig sind beide Technologien nicht. Ein Beispiel, wie mächtig Lobby sein kann.
Was könnten die Folgen der Entscheidung der EU-Kommission sein?
Hubert Meisinger: Ich sehe letztlich die Energiewende in Gefahr, wenn Investitionen statt in erneuerbare Energien dann in atomare und fossile Energien fließen. Aber ich will den Teufel nicht an die Wand malen. Ich glaube an die Möglichkeit der Einsicht und der Demut mit Blick zukünftige politische und wirtschaftliche Entscheidungen pro echter erneuerbarer Energien. Da vertraue ich darauf, dass ein christliches Menschenbild trägt, wenn es den Menschen als geschaffenen Mit-Schöpfer bezeichnet, der anders als der homo faber zur kritischen Reflexion seiner Stellung in der Natur fähig ist.
Was könnte das für Investitionen bedeuten?
Hubert Meisinger: Diese Antwort kann ganz knapp ausfallen: Investitionen könnten in die falsche Richtung gelenkt werden. Statt aus Atomkraft und Erdgas abzufließen, könnten sie dorthin fließen. Das ist Greenwashing.
Wie beeinflusst die Ukraine-Krise das Thema „Erdgas und Atomkraft“ aus Ihrer Sicht?
Hubert Meisinger: Meines Erachtens macht diese Krise – mal ganz abgesehen von den zu befürchtenden Unmenschlichkeiten eines drohenden Krieges – deutlich, dass Deutschland konsequent den Weg zu erneuerbaren Energien weiter gehen muss, um eine größtmögliche Unabhängigkeit in der Energieversorgung zu erreichen. Allerdings, und dabei bleibe ich, ohne Atomkraft.
Klar ist aber auch: Der CO2-Ausstoß ist trotz aller bisherigen Anstrengungen immer noch viel zu hoch. Deshalb empfindet der ein oder andere möglicherweise ein vorläufiges Ja zur Atomkraft nachvollziehbar. Was entgegnen Sie?
Hubert Meisinger: Ein vorläufiges Ja würde mehrere Jahrzehnte, mindestens zwei Menschen Generationen lang eine Abhängigkeit von der Atomkraft schaffen. Die Meiler laufen ja nicht nur für ein paar Jahre, dafür ist die Technologie viel zu teuer. Und die anfallenden Abfälle bleiben Jahrtausende radioaktiv. Von vorläufig oder sozial-ökologisch nachhaltig kann also nicht die Rede sein.
Der EU-Kommissarin Mairead McGuiness ist bewusst, dass Atomenergie und Gas nicht grün seien, sie würden aber den Übergang zu erneuerbaren Energien ermöglichen. Wie schätzen Sie die Argumentation ein?
Hubert Meisinger: Ich kann diese Argumentation zwar nachvollziehen, halte sie aber für falsch. Die EU-Taxonomie wird ja der neue Standard für nachhaltige Investitionen. Und zu denen sollen dann Investitionen in Atomenergie und Erdgas gehören. Das widerspricht m.E. den Intentionen des European Green Deal und des Fit-for-55-Pakts. Meines Erachtens sagt der BUND nicht zu Unrecht, dass es um nichts weniger gehe als die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit eines grundlegenden Instruments für nachhaltige Investitionen.
Können Sie sich in Bezug auf die Nachhaltigkeit von Atomkraft äußern?
Hubert Meisinger: Atomkraft ist eine Technologie, die aus sich heraus immer gefährlich bleiben wird. Nicht letztlich zu bändigen. Auch nicht durch den homo faber, der mit seiner technischen Vernunft glaubt, alles beherrschen zu können. Tschernobyl und Fukushima sind da bleibende Mahnungen, nicht weiter in diese Technologie zu investieren. Als ZGV werden wir auch in diesem Jahr wieder bei einer Initiative der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges, IPPNW, unterschreiben, die jährlich vor dem Jahrestag des GAUs in Fukushima in einer großen deutschlandweiten Tageszeitung auf die Gefahren der Atomenergie hinweisen. Auch die Synode der EKHN hat sich schon vor Jahren für die Abschaltung der Atomanlagen ausgesprochen.
Trotz Kritik auf vielen Ebenen scheint eine Ablehnung der Entscheidung als unwahrscheinlich. Wo sehen Sie Chancen, dass künftig dennoch nachhaltige Entscheidungen zumindest in Deutschland getroffen werden?
Hubert Meisinger: Na ja, wir sollten in Deutschland zuallererst einmal dabei bleiben, Atomkraft und Erdgas als nicht nachhaltig anzusehen und einzustufen. Da geht es ja auch um die Definitionsmacht über Begriffe. Hier lohnt es sich, hartnäckig zu bleiben. Ich traue unserer neuen Regierung zu, diese Hartnäckigkeit an den Tag zu legen. Gesellschaftliche Gruppen wie die Klima-Allianz Deutschland e.V., bei der die EKHN Mitglied ist, werden die Politik auch zukünftig daran erinnern, hier klaren Kurs zu halten.
Was können jetzt Bürger:innen und Initiativen tun?
Hubert Meisinger: Als Bürger:innen in Deutschland können wir unseren Strom über erneuerbare Energieträger beziehen. Der entsprechende Wechsel ist einfach, erfordert aber eine bewusste Entscheidung. Und in Zukunft noch die Zusatzfrage beim Verkäufer, ob auch wirklich keine Atomkraft im angebotenen grünen Strom drinsteckt. Die Verbraucher werden so in die Eigenverantwortung getrieben. Ahnungslosigkeit allerdings ist kein Argument. Die Klima-Allianz Deutschland e.V., aber auch die Churches for Future können das öffentliche Bewusstsein für „wirkliche“ Erneuerbare Energien wach und hoch halten.
Was unternimmt die EKHN?
Hubert Meisinger: Die Synode der EKHN selbst hat in einem Energiebeschaffungsgesetz beschlossen, dass alle kirchlichen Einrichtungen und Gemeinden Strom aus erneuerbaren Energien beziehen. Bei Erdgas haben wir uns für den derzeit möglichen hohen Standard entschieden, dass 5% Biogas beigemischt sein müssen. Schaut man auf die Energiewende insgesamt in Deutschland, dann ist Erdgas wohl noch als Brückentechnologie zu bezeichnen – mit ganz eigenen Problematiken, denn Fracking-Gas aus den USA statt Nordstream 2 ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Letztlich wird es darum gehen, dass wir auch Erdgas aus der verwendeten Energie-Produktpalette heraus nehmen. Die EKBO macht es vor, dort dürfen seit dem 1. Januar 2021 keine fossilen Heizungen mehr eingebaut werden. Stattdessen wird z.B. vorgeschlagen, die Heizwärme über Wärmenetze zu beziehen, die ganz oder überwiegend mit erneuerbaren Energien betrieben werden oder nach der Planung zum Zeitpunkt der Antragstellung innerhalb von fünf Jahren darauf umgestellt werden. Absolut nachahmenswert. Nicht von ungefähr machen wir uns in der EKHN ja auch auf den Weg, ein Klimaschutzgesetz zu entwickeln. Auf dem Weg dorthin wird sicherlich noch einige Überzeugungsarbeit geleistet werden müssen. Aber im Verbund mit vielen anderen Landeskirchen und der EKD selbst, die diesen Weg einschreiten, werden wir damit erfolgreich sein, dessen bin ich mir sicher. Damit folgen wir auch unserer Verantwortung, der Integrität der Schöpfung gerecht zu werden.
Für die Endlagerung radioaktiver Abfälle soll ein konkreter Plan bis 2050 vorgelegt werden. Wo sehen Sie hier die Herausforderungen?
Hubert Meisinger: Zum einen ist da natürlich die naturwissenschaftliche, geologische und zeitliche Herausforderung zu nennen. Da jeder Staat für Planung und Durchführung der Endlagerung selbst verantwortlich ist, werden in Deutschland die Gebiete eingegrenzt, in denen überhaupt eine Endlagerung möglich ist. Da ist noch viel „Hirnschmalz“ erforderlich, einen geeigneten Ort zu finden, der wirklich Langzeitsicherheit bieten wird. Immerhin reden wir ja nicht über Jahrzehnte. Man geht heute davon aus, dass für alle Arten radioaktiver Abfälle – mit Ausnahme kurzlebiger Abfälle – ein Isolationszeitraum von mindestens einer Million Jahre benötigt wird. Für diesen Zeitraum ist ein naturwissenschaftlich exakter Nachweis der Dichtheit eines Endlagers jedoch nicht möglich. Diesbezüglich ist man vielfach auf Plausibilitätsaussagen und Indiziennachweise angewiesen (Quelle: www.chemie.de, Art. Endlagerung).
Zum anderen: Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist alles andere als positiv. Nimby, „Not in my backyard“, ist das verständliche Motto. Ehrlicherweise würde ich auch gar nicht darauf dringen wollen, dass die Akzeptanz an irgendeinem Ort in Deutschland oder anderswo dafür steigen sollte. Und ich bin mir sehr wohl bewusst, dass das irgendwie selbstwidersprüchlich ist. Denn es müssen ja Endlagerstätten gefunden werden. Überhaupt: End-Lagerung. Als ob wir Menschen die lange Zeit überblicken könnten, in denen das zu lagernde Material weiter strahlen wird…
Danke für das Gespräch!
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