Pflegeheime in der Corona-Krise
Gefahr von Depressionen, Ängsten und Einsamkeit
In Hessen sind Besuche in Alten- und Pflegeheimen mit Auflagen seit dem 4. Mai wieder erlaubt. Auch Sachsen-Anhalt und Niedersachsen haben erlassen oder angekündigt, Lockerungen zu erlassen. Zuvor hatte Bundeskanzlerin Merkel in einer Rede betont, dass ihr die Lage der Hochbetagten nahe geht: „Diese 80- und 90-Jährigen haben unser Land aufgebaut“, so Merkel.
Keine zentrale Regelung geplant
Bei ihren Beratungen Mitte April hatten Bund und Länder festgehalten, dass vulnerable Gruppen wie Pflegebedürftige besonders geschützt werden, gleichzeitig aber auch vor Vereinsamung geschützt werden sollen. Die Verantwortung dafür liegt demnach bei den Einrichtungen selbst und den Ländern.
Das Bundesgesundheitsministerium erklärte, es werde keine zentralen Leitlinien entwickeln. Das Ministerium verweist aber auf die vom Robert Koch-Institut veröffentlichten Empfehlungen, die die Länder für Pflegeeinrichtungen umsetzen könnten.
Depressionen und Ängste nehmen zu
Gegen die Besuchs- und Ausgehverbote gibt es zunehmend Protest: Politiker und Verbände warnen dringlich, dass die Isolation alter Menschen gesundheitliche Folgen hat und auch Leben gefährdet: Demenzkranke bauen geistig noch stärker ab, Depressionen und Ängste nehmen zu. „Viele Menschen in den Pflegeeinrichtungen leiden massiv unter der erzwungenen Einsamkeit“, beklagt der SPD-Politiker und Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen, Franz Müntefering.
Diakonie arbeitet an Schutzkonzepten
„Wir müssen den notwendigen Gesundheitsschutz gewährleisten, aber gleichzeitig die Isolation der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner unterbrechen“, betont die Diakonie-Pressesprecherin Kathrin Klinkusch. Die Diakonie arbeite daher an Schutzkonzepten, die kurze Besuche von Angehörigen ermöglichen sollen - etwa indem die Heime geschützte Bereiche schaffen.
Besucher unterstützen regelmäßig in der Pflege
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für alte und pflegebedürftige Menschen (Biva) hat eine Petition gestartet, damit Besuche von Betreuern und Angehörigen „unter Einhaltung von verbindlichen Hygienevorschriften“ ermöglicht werden. Dabei weist die Biva auch darauf hin, dass Angehörige nicht nur Besucher sind, sondern oft auch Pflege unterstützen und eine wichtige Kontrollfunktion haben. Denn die Betreuung in den Heimen kann durchaus mangelhaft sein. Wenn etwa das Personal nicht gewissenhaft darauf achtet, dass die Hochbetagten genug trinken, können die Bewohner dehydrieren und in Lebensgefahr geraten.
Eingangskontrollen und Hygienevorschriften als Schutzmaßnahmen
Birgitte Bührlen, Vorsitzende der „Wir!Stiftung pflegender Angehöriger“, fordert die Heimträger auf, sich Gedanken zu machen, wie die Häuser gestaltet werden können, damit der Schutz erhalten bleibt und Besuche möglich sind. „Im Eingang kann man erfassen, war wann kommt und zu wem geht“, schlägt sie vor. Dazu könnte die Temperatur der Besucher gemessen werden. Abstand halten und der Mund-Nasen-Schutz gehörten in der Corona-Krise ohnehin dazu.
Träger der Pflegeheime sind skeptisch gegenüber Lockerungen
Bei großen Trägern von Alten- und Pflegeheimen werden solche Überlegungen mit Vorsicht angestellt. Denn die Gefahr ist groß: Mehr als 800.000 Menschen leben bundesweit in mehr als 14.000 Heimen. Das Robert Koch-Institut teilte kürzlich mit, dass rund ein Drittel der Todesopfer aus Pflegeeinrichtungen stammt. Rund 87 Prozent der Menschen, die an Covid-19 sterben, sind älter als 70. Nach Ansicht von Andreas Wedeking, Geschäftsführer des Verbandes katholischer Altenhilfe in Deutschland sind Lockerungen erst möglich, wenn es genügend Schutzmaterialien gibt. Die Caritas fordert außerdem mehr Tests für Pflegefachkräfte und Pflegebedürftige. Das hat die Bundesregierung jetzt zugesagt.