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Queer leben

„Gleiche Rechte für Homos und Heteros“

Nulf Schade-James

Pfarrer Nulf Schade-James hat sich seit den 70er Jahren für die Rechte von homosexuellen Menschen eingesetzt; die Herbstsynode 2018 der EKHN war für ihn ein großer Moment: Die Synodalen beschlossen, dass gleichgeschlechtliche Paare sich kirchlich trauen lassen können. Bereits seit 2002 konnten sie sich segnen lassen.

Wenn die bunte, queere Szene am Christopher Street Day das Stadtbild in Frankfurt prägt, ist nichts davon spürbar, dass vor rund 80 Jahren während des Nationalsozialismus homosexuelle Menschen verfolgt und in Konzentrationslagern umgebracht wurden. Als Arnold Schade 1958 geboren wurde, schien es noch undenkbar, Homosexualität offen zu leben – geschweige denn als Pfarrer. Für den musikalisch begabten, extrovertierten Jungen begann ein langer Kampf für die Gleichberechtigung von Homosexuellen. Doch er fand auch viele Unterstützerinnen und Unterstützer.

Wenn am 19. Juli 2019 der Christopher Street Day die Mainmetropole wieder in Regenbogenfarben taucht, hat zum Mitmachen auch die Evangelische Kirchengemeinde Frieden und Versöhnung rund um Pfarrer Nulf Schade-James aufgerufen. Dann werden Menschen aus der queeren Szene und ihre Freunde gemeinsam zwischen Demonstration, Shows und Straßenfest den bunten Lebensstil feiern.

Dass Arnold Schade einmal als evangelischer Pfarrer sein Schwulsein öffentlich und entspannt leben würde, schien zu Beginn seiner Pubertät Ende der 60er Jahre undenkbar. Noch bis ins Jahr 1969 galt Homosexualität unter Männern als Straftat. In seiner Biographie „Gottes Kleid ist bunt“ schreibt er: „Es war überhaupt nicht daran zu denken, dass ich mich als Jugendlicher hätte zu meiner Homosexualität bekennen können.“  Damals hatte er  aus den Erzählungen der Erwachsenen erfahren, dass es in seiner Heimatstadt Gedern einen Mann gab, der regelmäßig nach Frankfurt fuhr, um dort im „Dunklen der Szene“ seinen Neigungen nachzugehen. Das Bild, das damals die Menschen von Homosexuellen hatten, war denkbar ungünstig. Nulf Schade-James kann sich noch gut an seine Not als Jugendlicher erinnern, es gab „keinen Menschen, mit dem man über dieses Thema hätte reden können.“

Gott als Ansprechpartner für innere Nöte

Einen Ansprechpartner hatte der junge Nulf Schade allerdings gefunden: „Mit Jesus konnte ich sprechen, ihm durfte ich in meinen Gebeten von meinen Sehnsüchten nach einem Freund, einem der mich liebte, erzählen.“ Bei den Gesprächen mit Jesus und Gott fühlte er sich geborgen und verstanden. Dabei war der christliche Glaube dem kleinen Nulf, der 1958 geboren wurde, nicht in die Wiege gelegt worden. Denn beide Eltern standen in den 60er Jahren der Kirche eher kritisch gegenüber.

Liebevolle Menschen haben den Weg in die Kirche geebnet

In seinem Buch erzählt Schade-James: „Religiös erzogen haben mich andere.“ Eine von ihnen war die Schreibwarenladen-Inhaberin „Tante Inge“, eine Seele von Mensch. Mit ihr betete er vor dem Essen und er erlebte, wie herzlich und liebevoll sie die Menschen begrüßte und bediente. Schon mit 13 Jahren fasste Nulf den Entschluss, Pfarrer werden zu wollen. Und er verrät den Grund: „Der Kindergottesdienst und der Kinderchor brachten mich dazu, aber vor allem die Menschen, die mich liebten und mir das auch zeigten. Sie haben mich auf diesen Weg gebracht und den Geist in mir geweckt.“

Hadern mit der sexuellen Identität

Doch immer war da die Angst, entdeckt zu werden. Folglich inszenierte er sich nach außen hin als heterosexueller junger Mann: Er küsste ein Mädchen aus der Nachbarschaft. Mit Streichen und Scherzen hatte er sich in der Schule zwar einigen Ärger zugezogen, seine Clownmaske schützte ihn aber vor gefürchteten Vermutungen der Klassenkameraden. Nulf Schade gesteht sogar, dass er sich beim Mobbing eines homosexuell wirkenden Mitschülers beteiligte. „Ich dachte, wer schlecht über Schwule spricht, der ist bestimmt nicht schwul.“

Schritt für Schritt zum Coming-Out

Doch immer wieder sorgten Begegnungen mit Männern dafür, dass ihn „die Lust überkam“. Schließlich startete er sein Theologie-Studium in Frankfurt am Main. Aus dieser Zeit stammt auch sein Spitzname „Nulf“. Mit 21 Jahren hatte er schließlich eine kurze Beziehung mit „Jan“ aus Holland, der aber ursprünglich aus Nulfs Heimatstadt stammte. Nulf war in ihn verliebt – aber sein Schwulsein konnte er sich noch nicht eingestehen. Durch die Besuche in einem Travestielokal in Frankfurt und die Begegnungen mit der Arbeitsgruppe „Homosexuelle und Kirche“ näherte er sich seinem Coming Out. Seine Praktikums-Mentorin in Rödelheim gehörte schließlich zu den ersten Menschen, denen er von seiner Vermutung schwul zu sein, erzählte. Ein Schwulen-Stammtisch in Heidelberg brachte für ihn schließlich den Durchbruch: „Es war an der Zeit, nach draußen zu gehen.“ Wilde, skandalträchtige Studenten-Feten folgten, knallige Outfits, die Gründung des Kabaretts „Sodom und Gomorrha“, aber auch das Engagement für die Rechte der Homosexuellen.

Schwulsein und Pfarrer – wie kann das zusammen passen?

Die Frage war nur: Wie ließ sich seine Homosexualität mit dem Beruf des Pfarrers vereinbaren? Nulf Schade-James beschreibt die damalige Situation homosexueller Pfarramtsanwärter: „Viele von uns sind damals auf der Strecke geblieben, haben resigniert und sind aus der Kirche ausgetreten.“ Einige hätten sich auch das Leben genommen. Er schreibt: „Ich denke an jenen Theologiestudenten in Heidelberg, der sich erhängte, weil er die Angst und die auferlegten Schuldgefühle nicht mehr aushielt. Für ihn habe ich oft gebetet.“ Der Kirchentag in Nürnberg 1979 hatte ihm allerdings Mut gemacht, den Kampf für Liebe und Respekt aufzunehmen, indem er beispielsweise Unterschriften sammelte. Zumal war dort das erste Mal die Arbeitsgruppe „Homosexuelle und Kirche“ mit einem Informationsstand auf einem Kirchentag aktiv vertreten. Zudem keimte Zuversicht in ihm auf: „In der EKHN war es damals schon ein wenig anders.“ Man wusste, dass es in der Kirchenverwaltung in Darmstadt schon Frauen und Männer gab, die einen neuen Weg mit homosexuellen Menschen suchten.

Mutig zum Ziel

Vor seinem Vikariat wollte sich Nulf Schade auch in der Kirchenverwaltung der EKHN outen, denn er wünschte sich einen verständnisvollen Lehrpfarrer. Tatsächlich wurde es ein „freundliches Gespräch“. Sein Vikariat absolvierte er in Wiesbaden. Nach seinem Spezialvikariat in Ägypten hatte ihn die Frankfurter Pröpstin nach längerer Wartezeit schließlich eingeladen. Auch in dem Gespräch mit ihr bekannte sich Nulf Schade zu seiner sexuellen Orientierung. Ihre Antwort lautete: „Das ist doch kein Problem.“ Am 22. April 1990 war es dann soweit: Nulf Schade wurde in der Evangelischen Friedenskirche zum Pfarrer ordiniert. Auf herausfordernde Gesprächspartner, die kritische Bibelstellen zitierten, antwortete er mit der Liebe, die niemals aufhört (Konrinther 13,8) und „dass wir alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus sind.“

Mit dem Mann fürs Leben ins Pfarrhaus

Auch sein Privatleben steuerte allmählich auf ein Happy End zu. An einem Baggersee begegnete er seinem Mann fürs Leben: dem amerikanischen Soldaten David James. Nach Nulf Schades Coming Out hatte er dem Kirchenvorstand klar gemacht: „Ich bin gerne euer Pfarrer und ich ziehe gerne ins Pfarrhaus ein, aber nur mit David!“ Nach Beratungen mit der Pröpstin hatte der Kirchenvorstand schließlich einstimmig beschlossen, dass er Pfarrer des Westbezirks wurde. Zudem durfte er mit seinem Partner ins Pfarrhaus einziehen. 1996 ließ sich das Paar in der St. Jakobskirche segnen, obwohl damals Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare von kirchlicher Seite aus noch verboten waren. Aber eine spontane Laune stachelte seinen Pioniergeist an. Eine der Voraussetzungen für die kirchliche Segnung war Nulf Schades Gottesbild. Er geht davon aus, „dass der menschenfreundliche Gott uns so liebt, wie wir geschaffen wurden und dass der Segen, der uns am Tag unserer Hochzeit zugesprochen wurde, vielen anderen Menschen zum Segen wurde.“

Drei Hochzeiten und eine kleine Familie

Für diese Haltung trat er auch mit einer Rede vor der Kirchensynode der EKHN 2002 ein. Mit Erfolg: Mit großer Mehrheit stimmten die Synodalen offiziell für die Segnung homosexueller Paare ab. Im gleichen Jahr ließen sich Nulf und David standesamtlich im Frankfurter Römer verpartnern, im August 2001 hatte der Bundestag den Weg dafür frei gemacht. Mit dieser Entscheidung rücke das Ziel Nulf Schades immer näher: „Gleiche Rechte für Homos und Heteros“. Mit der Verpartnerung änderte sich auch sein Nachname: Schade-James. Und noch ein drittes Mal sagte er „Ja“: 2015 heirateten die beiden in New York City, damit ihre Lebenspartnerschaft auch in den USA gültig ist. Sein Ziehsohn Toni komplettierte die kleine Familie. Kurz vor seinem Abitur ist er ins Pfarrhaus gezogen, mittlerweile studiert er in Darmstadt. Nulf Schade-James schreibt: „Wir sind eine kleine Familie mit großem Herzen und einem großen Tisch, an dem viele Menschen Platz haben.“

Seit dem 1. Januar 2019 können homosexuelle Paare auch in einem formellen Traugottesdienst in Hessen und Nassau ihren Bund segnen lassen.

Themen-Special: Trauung gleichgeschlechtlicher Paare


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