Fleisch
Kann der Vorsitz im Rat der Europäischen Union einen Wandel in der Fleischindustrie herbeiführen?
Seit Mittwoch (1. Juli 2020) hat Deutschland den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ist nun für ein halbes Jahr die Vorsitzende für den Bereich Landwirtschaft und Fischerei. Die Skandale bei Tönnies und mehreren anderen großen Fleischerzeugern haben die prekären Zustände in der Fleischindustrie deutlich gemacht. Eine Reaktion darauf war der „Fleischgipfel“ in Düsseldorf (26. Juni 2020). Hier ging es um die Behandlung von Tier und Mensch in der Fleischindustrie. Julia Klöckner plädierte für eine Tierwohlabgabe. Welche Veränderungen für die Branche wichtig wären, hat Redakteurin Charlotte Mattes die Agraringenieurin Maren Heincke gefragt. Sie ist die Referentin des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung für das Thema „Ländlicher Raum“. Maren Heincke kennt sich theoretisch und praktisch mit dem Thema aus, denn sie hat selbst schon beim Schlachten geholfen und gemolken. Obwohl sie seit dem Jugendalter Vegetarierin ist.
Corona-Ausbrüche bei Tönnies und Co. haben die furchtbaren Zustände in Schlachtbetrieben in die Medien gebracht, obwohl sie eigentlich schon jahrelang bekannt sind. Sind die Corona-Ausbrüche eine Chance zum Umdenken?
Maren Heincke: Wir wissen schon lange von der Ausbeutung der Arbeitnehmer, gerade von Osteuropäern. Miserable Arbeitsbedingungen, Entlohnung, die nicht ordentlich erfolgt, schlechte Wohnverhältnisse und insgesamt ein hohes Abhängigkeitsverhältnis dieser Arbeitnehmer. Teilweise gibt es auch massive Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz. Corona kann den Anstoß dazu liefern, dass dieses System der Ausbeutung an seine Grenzen stößt. Und es ab 1. Januar 2021 aufhört. Es also anstelle von Subunternehmen zum Beispiel Festanstellungen gibt. Ich hoffe, dass dann auch anständig kontrolliert wird.
… und was müsste sich für die Tiere ändern?
Maren Heincke: Es passieren viele Tierschutzverstöße in Schlachtbetrieben. Hier geht es um die Tiertransporte und auch um die Betäubung von Tieren vor dem Schlachten. Ein Arbeiter hat rund 4 Sekunden Zeit ein Schwein oder Rind zu betäuben. Das ist sehr kurz und führt dazu, dass circa 9 Prozent der Tiere nicht vollständig betäubt sind, sondern bei vollem Bewusstsein, zum Beispiel durch einen Halsschnitt, getötet werden. Und das obwohl Tierschutz seit 2002 im Grundgesetz steht. Dadurch, dass die Gesetze nicht eingehalten werden, entsteht unnötiges Tierleid. Wichtig wäre es, die bestehenden Gesetze konsequent umzusetzen. Allerdings herrschen in der Branche starke Lobbyinteressen und es gibt einiges an krimineller Energie. Ein Beispiel dafür ist, dass Amtstierärzte, die Mängel bei Kontrollen bemerken, bedroht werden. Ich kenne selbst eine ehemalige Amtstierärztin, die diese Erfahrung machen musste. Die Folge ist, dass nicht die Schlachthöfe sanktioniert werden, sondern diese kritischen Mitarbeiter. Das muss ein Ende haben!
Welche konkreten Schritte müssten vorgenommen werden, um die Fleischindustrie nachhaltiger zu machen?
Maren Heincke: Wir müssen die gesamte Kette betrachten. Von der Zucht, über die Tierhaltung, den Transport, die Schlachtung und Verarbeitung, den Einzelhandel bis hin zum Verbraucher. Wir können also nicht das Schwarze Peter Spiel spielen. Der Verbraucher sagt die Politik hat Schuld, die Politik sagt „Du entscheidest“, also der Verbraucher, wie Julia Klöckner das Motto bei der Grünen Woche dieses Jahr formuliert hat. Landwirte hingegen sagen, die Fleischindustrie diktiert die Preise. Diese verweist aber auf die Globalisierung. Verantwortung hin und her zu schieben, damit muss Schluss sein. Wir müssen davon ausgehen, dass der Umbau der Tierhaltung ungefähr 20 Jahre dauern wird. Die Experten der Borchert-Kommission, gehen davon aus, dass der Stallumbau bis 2040 dauern wird und dann dafür 3,6 Milliarden Euro pro Jahr notwendig sind. Dafür wird eine Tierwohlabgabe diskutiert, um diesen Betrag finanzieren zu können. Ich denke auch, dass dieser Umbau sowohl aus Steuergeldern als auch über eine verbrauchsbezogen Tierwohlabgabe finanziert werden müsste.
…was kann der Verbraucher denn trotzdem tun?
Maren Heincke: Weniger Fleisch essen zum Beispiel. Die Menge, die wir jährlich im Durchschnitt zu uns nehmen, sind 60 Kilogramm. Das ist gesundheitlich bedenklich. Ich plädiere seit Jahren für den „Sonntagsbraten“, denn dieser zeigt auch die Wertschätzung, dem Lebewesen gegenüber, das wir essen. Außerdem werden 30 Prozent des Fleischs weg geschmissen. Das waren mal Tiere, die gelebt haben. Da hat der Verbraucher natürlich schon eine Verantwortung. Fleischkonsum ist aber auch abstrakt geworden. Wurde früher häufig ein ganzes Huhn gekauft, sind es heute schön verpackte Hühnchen Schenkel. Dadurch verlieren wir den Bezug zum Tier. Und Einblicke in Schlachtbetriebe oder Hühnerställe haben wir auch nicht mehr.
Sie haben Julia Klöckner angesprochen. Sie ist jetzt die Vorsitzende für den Bereich Landwirtschaft und Fischerei im Rat der Europäischen Union. Welche Anstöße sollte sie einbringen?
Maren Heincke: Es ist entscheidend, dass bei der Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU ein ausreichend großer Topf für das Tierwohl ausgegeben und eine feste Summe dafür festgelegt wird. Insbesondere sollte es um den Stallausbau gehen und das dieser nur öffentlich mitfinanziert wird, wenn der Ausbau besonders tiergerecht ist. Das ist bislang nicht der Fall. Außerdem muss Geld dafür bereit stehen, Tiere artgerechter zu behandeln. Zum Beispiel kostet es mehr Zeit und ist arbeitsintensiver, wenn Kühe morgens zur Weide gebracht und abends abgeholt werden. Das sollte mitbedacht werden. Auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse über das Tierwohl sollten Landwirtinnen und Landwirten durch Fortbildungen näher gebracht werden. Hierfür ist ein Beispiel, wie das stressfreie Treiben von Kuhherden gelingen kann. Das geplante EU-weite Tierwohllabel ist ein Ziel, aber nicht die Hauptbaustelle. Es muss einen guten Standard abbilden und darf kein Pseudo-Label sein, zur Gewissensberuhigung der Verbraucher.
Ich fordere von Julia Klöckner, dass sie ihre besondere Machtstellung nutzt. Es geht nicht mehr darum zu diskutieren, sondern zu handeln.
Info
Fleischkonsum und Umweltprobleme, wie hängt das zusammen?
Maren Heincke: Es gibt positive und negative Aspekte beim Thema Nutztierhaltung. Kleine Wiederkäuer, wie Schafe und Ziegen, sowie weidende Rinder haben zum Beispiel einen positiven Effekt. Sie können durch das Fressen von bestimmten Pflanzen zum Erhalt von wertvollen Kulturlandschaften und Biotopen beitragen. Die Tierhaltung an sich zu verteufeln ist also falsch.
Die Umweltprobleme, die wir mit der Tierhaltung haben, liegen daran, dass in einigen Regionen in Deutschland zu viele Tiere konzentriert gehalten werden. Dadurch entsteht dort zu viel Gülle.
Zu viel Gülle im Boden führt zu einer Nitrat-Belastung des Grundwassers. Konkret heißt das, wenn zu viel Nitrat im Grundwasser ist, können wir es nicht als Trinkwasser nutzen. Es muss es mit sauberem Wasser gemischt werden, um die Gesundheit nicht zu gefährden. Wenn Säuglinge zu viel Nitrat im Trinkwasser zu sich nehmen, können sie ersticken. Durch die Nutztierhaltung entweichen auch Methan und Lachgas, Gasausscheidungen, die den Klimawandel beschleunigen. Die landwirtschaftliche Nutztierhaltung führt zu einem erheblichen Ressourcen-Verbrauch. Es sollte also auf ein richtiges Maß reduziert werden. Denn um den hohen Fleischkonsum und den enormen Export von Schweinefleisch decken zu können wird Soja importiert. Dadurch wird Regenwald in Südamerika abgeholzt. Die Vielfalt an Pflanzen und Tieren dort wird nie wiederkommen. Der Fleischkonsum hängt also mit dieser Zerstörung direkt zusammen. Kirchlich gesehen sagen wir: Tier-, Menschen- und Umweltwohl gehören unteilbar zusammen. Und jetzt ist die Zeit zu handeln!