Auslandspfarrer
Kleine Gemeinde im Big Apple: Als deutsche Pfarrerin in New York
von Renate Haller
Ein paar Worte im Vorübergehen, eine Aufmerksamkeit: Wenn Miriam Groß in New York unterwegs ist, sucht sie das Gespräch. Einem jungen Mann im Café macht sie ein Kompliment für seinen Ohrring in Kreuzform. Am „Vessel“, einem einzigartigen Treppengebäude in den Hudson Yards, spricht sie mit dem Ticketkontrolleur, auf der „High Line“, der begrünten ehemaligen Güterzugtrasse im Westen der Stadt, wechselt sie ein paar Worte mit einer Touristin.
Miriam Groß ist seit 2014 Pfarrerin der deutschsprachigen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in New York: Sonntagsgottesdienste, Chorkonzerte, Jugendgruppe, Weihnachtskrippenspiel wie in jeder deutschen Kirchengemeinde, das alles inmitten der Tag und Nacht pulsierenden Metropole. Die Eltern-Kind-Gruppe heißt „Kirchenmäuse Manhattan“.
New York: Mehr Respekt vor der Pfarrerin als vor der Frau
Zum schwarzen Kleid trägt Groß den weißen Stehkragen, den Kollar. Er macht sie als Seelsorgerin in der Stadt erkennbar. Und er dient auch ihrer Sicherheit: Nachts in der U-Bahn wird der Pfarrerin mehr Respekt entgegengebracht als der Privatperson, hat die 42-Jährige erfahren.
Aufgewachsen ist die Pfarrerin der Evangelischen-Lutherischen Kirche in Bayern in der Nähe von Würzburg. Teil ihrer Ausbildung war ein Praxisjahr, das sie als Flugbegleiterin bei Japan Airlines verbracht hat. Sie hat eine andere Arbeitswelt gesehen, lernte Japanisch. An Bord habe sie viele Glaubensgespräche geführt, erzählt sie, „obwohl ich keine Missionstheologin bin“.
Gleich nach ihrem Vikariat in Franken war sie drei Jahre lang Pfarrerin auf den schottischen Orkney-Inseln. „Dort musste ich drei Kirchen verkaufen“, erinnert sie sich. „Die Gemeinde hätte sonst nicht überleben können.“ Es folgten vier Jahre als Pfarrerin in München, dann lockte New York. Eine Stadt „mit einem unbarmherzig schnellen Rhythmus“, sagt die Theologin. Wer den nicht mithalte, fliege raus.
Gemeindegebiet: New York, New Jersey und Connecticut
Die deutschsprachige Evangelisch-Lutherische Gemeinde haben deutsche Einwanderer 1841 gegründet. Das Gemeindegebiet erstreckt sich heute über die drei Staaten New York, New Jersey und Connecticut. Zu einem Taufgespräch fährt Pfarrerin Groß mitunter zweieinhalb Stunden. Das Pfarrhaus, in dem sie mit Ehemann und vier Kindern zwischen elf und 17 Jahren lebt, steht gut 40 Kilometer außerhalb von New York.
Die Kirche der Gemeinde heißt St. Pauls und liegt in Manhattan im Stadtteil Chelsea. In der etwas ruhigeren Seitenstraße zwischen achter und neunter Avenue stehen Bäume vor den traditionellen, braunen Brownstone-Häusern.
„Ich finde diesen zur Schau gestellten Reichtum unanständig“
Armut und Obdachlosigkeit sind allgegenwärtig. Rund 60.000 Menschen in der Stadt haben Schätzungen zufolge kein Dach über dem Kopf. Miriam Groß ist immer wieder schockiert über den großen Gegensatz zwischen Armut und Wohlstand. „Ich finde diesen zur Schau gestellten Reichtum unanständig“, sagt sie und blickt auf einen Swimmingpool auf einer Terrasse, die zu einem Fitnesszentrum gehört. Einen Straßenzug weiter liegen Obdachlose in Hauseingängen.
Die St. Pauls Kirche wurde 1897 erbaut. Die beiden Türme des neugotischen Gotteshauses müssen neu verankert werden, im Inneren bröckelt der Putz. „Die Finanzierung der notwendigen Renovierung ist für uns eine große Herausforderung“, sagt Groß. Die Evangelische Kirche in Deutschland beteiligt sich am Gemeindehaushalt mit fünf Prozent, der Rest muss über Mitgliedsbeiträge und Spenden hereinkommen.
Fundraising für den Erhalt der Kirche in Manhattan
Um die Handwerker bezahlen zu können, organisieren die Protestanten darum Konzerte und die Frühstückstreffen „Fundraising Brunch“. Und sie vermieten ihre Räume, inklusive Kirche. „Das ist nicht immer einfach“, sagt Groß. Ihre Gemeinde verstehe sich als liberal und offen. Dieses Menschenbild erwarte sie auch von ihren Mietern. Wenn andere christliche Glaubensgemeinschaften die Kirche mieten und dort ihre Taufen und Trauungen feiern, „müssen wir die Balance halten“, sagt sie.
Die Gemeinde hat 200 eingeschriebene Mitglieder, diese stehen für etwa 700 bis 800 Menschen, die sich ihr zugehörig fühlen. Etwa 60 Prozent sind „Expatriots“ - Deutsche, die im Auftrag von internationalen Unternehmen, des Auswärtigen Amtes oder der deutschen Schule für einige Jahre im Ausland leben. 40 Prozent sind Einheimische, deren Familien nach dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika ausgewandert sind. Durch den hohen Anteil an „Expats“ erneuert sich die Gemeinde ständig. Das bedeutet, dass sich auch Angebote im Gemeindealltag wie Krabbelgruppen für Kleinkinder ständig verändern.
Digitaler Konfirmandenunterricht
Dem derzeitigen Konfirmandenjahrgang bietet Groß erstmals ein digitales Element an: Die Jugendlichen leben verteilt auf drei Staaten, manche haben sehr lange Wege zum Unterricht. Sie können sich nun punktuell digital am Unterricht beteiligen, indem sie sich auf einer Plattform einwählen.
Die Website für den digitalen Unterricht hat Miriam Groß selbst aufgebaut. „Ich bin hier Mädchen für alles“, sagt sie lachend. Tatsächlich aber ist die Pfarrerin webaffin. Lange Zeit hat sie einen regelmäßigen Blog geschrieben, im vergangenen Jahr dann jeden Sonntag einen Videoblog auf Youtube hochgeladen.
Christlichen Glauben öffentlich leben
Sie wollte „digitale Türen öffnen, um jene zu erreichen, die sich noch erreichen lassen wollen“, sagt sie. Nach einem Jahr des Ausprobierens stellt sie zurzeit allerdings keine weiteren Videos online, die Zahl der Aufrufe war bescheiden. An ihrer Grundeinstellung ändert das nichts: „Ich bin öffentliche Theologin“, erklärt Groß. Das bedeutet, dass christlicher Glaube nicht im stillen Kämmerlein bleibt und sich um sich selbst dreht, sondern in die Öffentlichkeit hineinwirkt. Ob im Netz oder auf den Straßen von New York.
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