Tag der Wohnungslosen am 11. September
Leben auf der Straße
Zwischen 400 und 500 Menschen leben in Wiesbaden ohne festen Wohnsitz – immer mehr von ihnen haben mit psychischen Problemen und Pflegebedürftigkeit zu kämpfen. Auch die Zahl der unter 18-Jährigen unter den Wohnungslosen steigt. „Gerade in den Städten, wo der Wohnraum knapp wird, trifft es die Schwächsten am härtesten“, sagt Agim Kaptelli, Leiter des Diakonischen Werks Wiesbaden. „Es ist unsere Aufgabe, ihr Schicksal sichtbar zu machen.“
Erich Schmidt hat die Alkoholsucht besiegt und wohnt wieder
Der heute 57-Jährige Erich Schmidt war jahrelang Alkoholiker, Stammkunde in der Teestube und hat mehr als 20 Entgiftungen hinter sich. Heute lebt er mit seiner zweiten Ehefrau in einer gemeinsamen Wohnung in Rheinhessen. Er ist seit 15 Jahren trocken, und hat Arbeit – als Nachtwache im Übergangswohnheim der Diakonie in Erbenheim.
Klassischer Weg: „Arbeit weg, Frau weg, Wohnung weg“
Wie viel Leid und Elend damit verbunden ist, sein Zuhause zu verlieren und auf der Straße zu leben – das hat Erich Schmidt am eigenen Leib erfahren: „Arbeit weg, Frau weg, Wohnung weg – so fing das damals an,“ erinnert er sich. Aus ein paar Feierabendbieren und Schnäpsen wird eine Alkoholsucht, die sich immer weiter in seinen Alltag frisst. „Als Suchtkranker brauchst du jeden Cent für Alkohol“, sagt er. Seine Miete kann er nicht mehr zahlen, seine Frau verlässt ihn, eine Bekannte rammt ihm im Drogenrausch ein Messer ins linke Schienenbein. Das Bein wird zur Hälfte amputiert. Als er aus dem Krankenhaus kommt, landet er auf der Straße.
„Das Schlimmste ist die Kälte in der Nacht, die einem in alle Knochen kriecht“
„Ein einbeiniger Alkoholiker – was hatte ich für eine Chance?“, sagt Schmidt. Zunächst schläft er im Biebricher Schlosspark, später schiebt er Bänke an der Ringkirche zusammen oder liegt an einer Bushaltestelle an der Dotzheimer Straße. „Das Schlimmste ist die Kälte in der Nacht, die einem in alle Knochen kriecht“, erinnert sich Schmidt.
Wieder und wieder macht er Entgiftungen und Therapien, und schafft es nicht. „Einmal bin ich aus der Suchtklinik raus und eh ich in Wiesbaden ankam, war ich schon wieder volltrunken. Ich hab einfach keinen Ausweg gefunden.“
Erster Schritt aus der Obdachlosigkeit: Einzug ins Übergangswohnheim
Es sind die Sozialarbeiter des Diakonischen Werks, die ihn von der Straße holen und ihm einen Platz im Übergangswohnheim in Erbenheim anbieten. Zum ersten Mal hat er seit eineinhalb Jahren wieder ein Dach über dem Kopf. Die Kraft, seine Sucht zu besiegen, gibt ihm dann die Frau, die er später heiraten wird: „Wir waren früher schon mal zusammen, und als ich das Zimmer in Erbenheim bezogen hatte, hab ich sie nach langer Zeit wieder angerufen“, erzählt er und erinnert sich sogar noch an das Münztelefon im Flur des Wohnheims.
Neue Frau, Wohnung und Job
Sie will den Kontakt mit ihm nur wieder aufnehmen, wenn er seine Sucht in den Griff bekommt. Und es gelingt ihm. „Damals dachte ich: Du hast alles verloren, sogar ein Bein. Was willst du noch alles verlieren? Das war der Wendepunkt.“
Heute sprüht der 57-Jährige vor Lebensfreude. Er hat eine Selbsthilfegruppe für Wohnungslose gegründet und ist froh, dass er eine Frau an seiner Seite hat, die ihn unterstützt: „Wenn man mal so tief im Sumpf steckte, dann ist man einfach dankbar.“
Um solche Menschen und Schicksale sichtbar zu machen, laden das Evangelische Dekanat und das Diakonische Werk Wiesbaden am bundesweiten Tag der Wohnungslosen, Mittwoch, den 11. September, ab 11 Uhr auf den Wiesbadener Mauritiusplatz ein.
Programm am 11. September in Wiesbaden:
11 bis 16 Uhr, Mauritiusplatz: Aktionen und Informationen.
16 Uhr, Mauritiusplatz: „Zuhause auf der Straße“ - Thematische Stadtführung mit dem ehemaligen wohnungslosen Erich Schmidt.
19 Uhr, TAG.WERK (Bismarckring 6, 65185 Wiesbaden): „Damit Hilfe auch ankommt“ - Info- und Gesprächsabend zum Thema Wohnungslosigkeit.