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Digitale Kirche

Neue und digitale Kirchen-Angebote durch Corona

Pfarrerin Kerstin Groß vor der Kamera

Pfarrerin Kerstin Groß vor der Kamera

Eine Predigt mit Schafen, Gottesdienste aus dem Pfarrgarten, aus der Zoohandlung, der Kreisklinik oder gleich ganz im Internet: Wenn Menschen nicht in die Kirchen kommen, kommt die Kirche eben zu den Menschen. Die Corona-Pandemie macht erfinderisch. Und sie treibt die Digitalisierung der Kirche voran.

Von Silke Rummel, Peter Bongard und Carina Dobra (Evangelische Sonntags-Zeitung)

„Wie schaffe ich es, den Kontakt zur Gemeinde zu halten? Das war mir ein Anliegen“, sagt Christine Heuser, Pfarrerin in Kleestadt und Richen. Andachten auf dem sozialen Netzwerk Youtube waren für sie während der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Kontaktbeschränkungen ein Mittel. Und so stieg sie für ihren ersten Online-Gottesdienst auf den Kirchturm der Kleestädter Kirche und wandte sich auf diesem Weg an die Gläubigen.

Mit dem Handy vom Enkel in den Gottesdienst

Zwischenzeitlich zeichnete Heuser jede Woche eine Andacht auf und stellte sie bei Youtube ein. Ihr Mann filmte, ihr Sohn hat ihr gezeigt, wie man schneidet. Anfangs dachte die Pfarrerin, dass sie gerade ihre treuen Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, die meist älter sind, mit einem digitalen Angebot nicht erreicht. Doch weit gefehlt: Kinder oder Enkel stellen Handy oder Tablet zur Verfügung, damit die Großeltern Gottesdienst feiern können. Besonders berührt haben die Pfarrerin Rückmeldungen, dass Videoandachten auch in existenziellen Situationen wie etwa in der Sterbebegleitung einen Platz finden.

Online-Gottesdienste erreichen auch Kirchenferne

Ähnliche Erfahrungen macht auch der Fränkisch-Crumbacher Pfarrer Thomas Worch. Die Kirchengemeinde stellt regelmäßig Bilder, Musik-Mitschnitte, Geschichten und Impulse – auch zum Download – auf ihrer Homepage. „Dass die älteren Menschen digital abgehängt sind, stimmt nicht“, sagt Worch. Ältere würden über Nachbarn und Familie auf dem Laufenden gehalten. Fernsehgottesdienste seien zwar technisch perfekt, aber die Leute freuten sich, ihren vertrauten Pfarrer und ihre Kirche zu sehen: „So haben sie das Gefühl, in der Isolation nicht vergessen zu werden.“ Er habe auch beobachtet, sagt Worch, dass er nicht nur die sogenannten Hochverbundenen erreiche, sondern auch Kirchenferne.

Eine andere Art von Nähe trotz der Distanz ist entstanden. Digitale Angebote sind das eine, Briefe, Telefonate und offene Kirchen das andere. Der Dekan des Dekanats Vorderer Odenwald, Joachim Meyer, überlegt bereits, welche der digitalen Angebote die Kirche beibehalten solle. „War es vor der Krise eher üblich“, sagt er. „dass die Menschen zu kirchlichen Angeboten in die kirchlichen Räume kamen, so bewirken die Kontaktbeschränkungen das Gegenteil: die Kirche kommt zu den Menschen auf vielfältige, fantasievolle Weise: digital oder analog, übers Telefon, über einen eingeworfenen Brief oder ein Gartenzaungespräch in sicherer Distanz oder den allabendlichen Gesang in der Nachbarschaft.“

Freiluft-Gottesdienst vor dem Seniorenheim 

Auch die Protestanten im Westerwald machten aus der Not eine Tugend. Viele der 32 Kirchengemeinden des Dekanats Westerwald sind mittels Online-Gottesdiensten oder gedruckten Hausandachten mit ihren Gemeindemitgliedern in Kontakt geblieben. Manchmal kam die Kirche – in sicherer Entfernung – auch zu den Menschen: In Selters haben Pfarrerin Swenja Müller und die Referentin für Gesellschaftliche Verantwortung, Nadine Bongard, einen Gottesdienst vor einem Seniorenheim für dessen Bewohnerinnen und Bewohner gefeiert. Und Hunderte Katholiken und Protestanten stimmten an einem Morgen überall im Westerwald „Großer Gott, wir loben Dich“ an – eine Aktion, zu der beide Kirchen aufgerufen hatten.

Andacht beim Metzger

Um die Gemeinde möglichst umfassend zu erreichen, legte mancher Pfarrer, manche Pfarrerin die Andachten beim Bäcker oder Metzger aus oder brachte sie per Fahrrad zu den Briefkästen der Gemeindeglieder. Kontakthalten und Seelsorge am Fenster oder Gartenzaun – oder per Telefon. Michaela Meingast, Pfarrerin in Klein-Umstadt, Raibach und Dorndiel, macht das, wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen auch, seit der ersten Woche mit Kontaktbeschränkung. „Dadurch fühle ich mich eng mit der Gemeinde verbunden“, sagt sie. 

Christine Heuser war schon an verschiedenen Orten, um ihre Andachten zu filmen. Als die Hamsterkäufe noch das große Thema waren, nahm sie kurzerhand Kontakt zu einem Zoohändler auf. Am Sonntag Misericordias Domini, dem Sonntag des guten Hirten, predigte sie von der Schafweide. 

Die Kirchengemeinde Groß-Umstadt, die ebenfalls seit Krisenbeginn mit einem regelmäßigen digitalen Andachtsangebot dabei ist, streamte schon Andachten aus dem Pfarrgarten, der Kreisklink und auch von der Schafweide.

Großer Aufwand für Online-Gottesdienst lohnt sich

In Egelsbach zeichnen Pfarrer Martin Diehl und sein fünf-köpfiges Team jeden Sonntag einen Gottesdienst für das Web auf. Die Aufnahmezeit für einen Gottesdienst beträgt zwei bis drei, die anschließende Aufbereitung fünf bis sechs Stunden. Ein Aufwand, der sich lohnt: „Die Resonanz und Reichweite sind überraschend groß“, sagt Diehl. Jeweils hunderte Zuschauer und über 100 Rückmeldungen erreichten ihn im Anschluss. Die Online-Gottesdienste hätten viele Menschen angeschaut, die sonst nicht in der Kirchenbank sitzen. „Besonders schön finde ich die Idee Gemeindeglieder einzuladen, sich mit ihrem Bild sozusagen in die Kirchenbank zu setzen. Da sitzen jetzt schon so 200 und ein Ende zeichnet sich noch nicht ab.“

Mehr als 1000 Zuschauer hatte sogar der Online-Gottesdienst der Andreasgemeinde Niederhöchstadt. Die ökumenische Osternacht wollten sogar 6000 Menschen sehen. Auch die Christuskirchengemeinde aus Bad Vilbel hat sich entschieden, ihre Gottesdienste live ins Internet zu übertragen. „Menschen begrüßen es ganz offensichtlich, mit einem tatsächlichen Live-Gefühl mitfeiern zu können“, erzählt der Pfarrer Klaus Neumeier. Sein Bruder Lutz sendet regelmäßig Gottesdienste sowie ein Mittagsgebet live aus der Marienstiftskirche in Lich.

Umfrage zu Online-Gottesdiensten

Mit der Lockerung der Corona-Beschränkungen wurden auch Präsenz-Gottesdienste im Mai wieder erlaubt. Viele der hier vorgestellten Pfarrer und Pfarrerinnen haben ihre digitalen Angebote wieder zurückgefahren oder ganz eingestellt. Eine bundesweite Umfrage forscht nach den Eindrücken der Zuschauer von Online-Gottesdiensten. Mitmachen unter der Adresse: https://bit.ly/3ipLjDZ


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