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Konversionstherapien verboten

Seelische Wunden nach Konversionstherapie

Nachdenklicher Mann

Das Gefühl anders zu sein, als es das Umfeld erwartet, kann seelische Nöte verursachen

Der Versuch einer Umpolung, einer Konversionsbehandlung, kann für homosexuelle Menschen schwerwiegende Folgen haben. Ein Betroffener erzählt seine Geschichte.

Vor 30 Jahren hatte die WHO am 17. Mai beschlossen, Homosexualität aus der internationalen Klassifikation der Krankheiten zu streichen. Doch es gibt weiterhin Gruppierungen, die Homosexualität als Krankheit ansehen und auf Konversionstherapien gesetzt haben. Deshalb hatte sich Anfang Mai 2020 der Bundestag für ein weitreichendes Verbot der sogenannten Konversionsbehandlungen entschieden, bei dem Behandlungen zur vermeintlichen Heilung von Homosexualität bei Minderjährigen künftig untersagt sind. Aus gutem Grund: Der Versuch einer Umpolung kann für homosexuelle Menschen schwerwiegende Folgen haben. Ein Betroffener erzählt seine Geschichte.      

Für den Weg, der ihn in seine schwerste Lebenskrise führen sollte, findet Markus* auch heute kaum Worte. „Tonnenschwer“ seien die Schritte gewesen. „Das war, als wenn du als Schwarzer durch ein Dorf voller Nazis gehst.“ Markus‘ Scham war riesengroß, doch seine Hoffnung noch größer, damals, Mitte der Neunziger Jahre. Er durfte schlicht nicht schwul sein. Das war ihm von Kindesbeinen an in seinem evangelikal geprägten Umfeld so eingeschärft worden. Deswegen entschied sich Markus mit Mitte 20 für eine Konversionstherapie. Um sich von seiner Homosexualität „heilen“ zu lassen. Was folgte, bezeichnet er heute als den „größten Absturz in meinem Leben“. 

Verbot in Deutschland voraussichtlich ab Mitte 2020

In Deutschland hatte der Bundestag Anfang Mai 2020 ein weitreichendes Verbot der sogenannten Konversionsbehandlungen beschlossen. Nun sind Behandlungen zur vermeintlichen Heilung von Homosexualität bei Minderjährigen künftig untersagt. Konversionsbehandlungen sind darauf ausgerichtet, die sexuelle Orientierung einer Person gezielt zu verändern oder zu unterdrücken, Ende Dezember hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. Laut Spahn werden in Deutschland jährlich schätzungsweise 2.000 Pseudotherapien durchgeführt. Oftmals innerhalb streng christlicher Glaubensgemeinschaften. „Ein Verbot ist auch ein wichtiges gesellschaftliches Zeichen an alle, die mit ihrer Homosexualität hadern: Es ist okay so, wie du bist“, begründete Spahn im Dezember seinen Gesetzesentwurf. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hatte die Initiative des Gesundheitsministers begrüßt, da sie ebenfalls Konversionstherapien ablehnt. Vertreter der EKHN verstehen Homosexualität als Teil der Schöpfung Gottes.

„Das Wort schwul durfte nicht ausgesprochen werden“

Einen solchen Rückhalt, ob durch den Staat, die Gesellschaft oder die eigene Familie, spürte Markus vor rund 25 Jahren nicht. Markus wuchs in den Siebziger Jahren in einer streng evangelikalen Familie auf. Seine damalige Gemeinde, ebenfalls eine evangelikale Gruppe, bezeichnet er heute als sektenähnlich. Als er im frühen Jugendalter merkte, dass er sich anstatt zu Mädchen zu Jungs hingezogen fühlt, habe er eine große Verzweiflung gespürt. „Das Wort schwul durfte bei uns zuhause nicht ausgesprochen werden. Für mich war sonnenklar, dass Homosexualität nicht mit dem Glauben vereinbar ist.“ 

Der Onkel dankte Gott für Aids 

Mit 16 Jahren schloss Markus einen inneren Deal mit Gott. Er versprach, alles zu tun, um seine von ihm selbst als Störung wahrgenommene Homosexualität loszuwerden. Er engagierte sich in der Gemeinde, leistete Jugendarbeit. Seine Gefühle freilich blieben. Doch darüber sprechen konnte Markus nicht. Der Nachdruck, mit welchem das Schwulsein in seinem Umfeld geächtet wurde, ließ das nicht zu. Markus erinnert sich, wie sein Onkel, der gleichzeitig Gemeindeleiter war, einst auf der Kanzel stand und Gott für die Krankheit Aids dankte – in der Hoffnung, dass alle Schwulen nun sterben werden. Als er sich in der Zeit seines Studiums, geplagt von Depressionen, nicht mehr anders zu helfen wusste, entschied er sich für ein Therapieangebot in Marburg. Dort versprach ein in der evangelikalen Szene bekannter Theologe Hilfe. 

Singen und beten gegen das Schwulsein 

Der Gang zur ersten Therapiestunde war für Markus „die Hölle“. Er erinnert sich genau an den kleinen Raum mit Dachschräge, er sei überrascht gewesen, wie viele andere Männer sich dort eingefunden hatten.  Einmal pro Woche kam er nun hierher. Es wurden evangelikale Lieder gesungen und gebetet, vermeintliche Erklärungen für die homosexuelle Neigung wie Missbrauch in der Kindheit angeführt. Es habe Hausaufgaben in Form von US-amerikanischer Literatur gegeben, auch Gruppengespräche und verhaltenstherapeutische Maßnahmen gehörten dazu.  Dass auch Methoden wie „Dämonenaustreibung“ Teil einer Konversionstherapie sein können, wurde 2014 in der NDR-Dokumentation „Die Schwulenheiler“ berichtet. Dabei ist sich die Medizin weitestgehend einig, dass eine Unterdrückung der sexuellen Identität Depressionen und ein erhöhtes Suizidrisiko hervorrufen kann. Der Weltärztebund verurteilte Konversionstherapien 2013 als Menschenrechtsverletzung.  

„Ich war im freien Fall“

Markus sei zu Beginn der Therapie „sehr euphorisch“ gewesen. Nach einiger Zeit aber merkte er, dass die Therapiestunden ohne Wirkung blieben. Ab diesem Moment habe er sich wie im „freien Fall“ gefühlt. „Das war, als ob ich mit dem ICE in die Hölle fahre.“ Es folgte eine schwer depressive Phase, einhergehend mit dem „puren Gefühl des Scheiterns.“ Markus´ Wahrnehmung nach werde die Schuld für das vermeintliche Scheitern einzig einem selbst zugeschrieben. Das sei auch der Grund, weshalb er dem Gespräch für diesen Text zugestimmt habe. Er will Menschen warnen, welche über eine Konversionstherapie nachdenken. 

„Sie wissen, wie das ist, wenn man sich schämt“ 

Markus beendete die Therapie und beschloss, sein evangelikales Umfeld zu verlassen. Es begann eine jahrelange Suche nach Orientierung, stets begleitet von Angst und Zweifeln – und Gedanken an den Tod. Markus kämpfte sich durch, lebt inzwischen mit seinem Partner zusammen. Die Depressionen sind bis heute nicht verschwunden. Zwei Konstante in seinem Leben haben Markus geholfen, auch die schwärzesten Stunden zu überstehen. Seine Begeisterung für Autos und sein Beruf als Lehrer. Zu seinen Schülern zählen auch Lernschwache und Geflüchtete. Einen Satz eines besonders verhaltensauffälligen Zehntklässlers einer Förderschule trägt Markus bis heute im Herzen. „Sie haben Abitur, ich habe mich immer gefragt, warum sie uns Förderschüler so gut verstehen“, soll der Junge vor Jahren zu ihm gesagt haben – „Sie wissen, wie das ist, wenn man sich schämt, wenn Witze über einen gemacht werden.“ 

Aufklärung als wichtigstes Anliegen

Seine Lebensgeschichte habe ihn auch stark gemacht, sagt Markus. Heute gehe es ihm verhältnismäßig gut. Doch sein Glaube, wie er einst war, sei ihm durch das Erlebte für immer genommen worden. „Ich sehne mich nach einem Glauben, finde aber keinen Platz mehr, diesen zu leben.“ Die traumatischen Erfahrungen aus seiner Jugendzeit sind zu stark.  Das Verbot von Konversionstherapien begrüßt er. Auch wenn er davon ausgeht, dass diese unter der Hand weiterhin durchgeführt werden. Wichtig ist Markus, dass die Gesellschaft über Konversionstherapien aufgeklärt wird, die Gründe für ein Verbot erfährt.

Das alte Gift bleibt

Eine evangelische Kirche hat er bis heute nicht mehr betreten, dies könnte jederzeit schlimme Erinnerungen hervorrufen. Auch der Beitritt in eine neue Gemeinde war ihm bisher nicht möglich. Über die heutige tolerante Haltung der EKHN, die Trauungen homosexueller Paare vornimmt, ist er glücklich. Dennoch seien die bei ihm durch evangelikale Strömungen verursachten Wunden nicht geheilt.  „Das alte Gift geht nicht weg. Ich werde für immer darunter leiden, dass ich etwas aufgeben musste, damit es mich nicht umbringt.“

Offene Haltung in der EKHN

Die Geschichte von Markus zeigt, welch traumatische Erlebnisse homosexuellen Menschen innerhalb evangelikaler und christlich-fundamentalistischer Kreise wiederfahren. Häufig prägen diese Erlebnisse, wie auch bei Markus, das gesamte weitere Leben. In den entsprechenden Gemeinden würde die Bibel häufig als zeitlos entstandene Schrift verstanden, welche wortwörtlich zu nehmen sei, sagt EKHN-Pressesprecher Volker Rahn. Die EKHN (Evangelische Kirche in Hessen und Nassau) distanziert sich deutlich von solchen evangelikalen und christlich-fundamentalistischen Gruppierungen und begrüßt das bevorstehende Verbot von Konversionstherapien. „Die EKHN hat bereits in der Vergangenheit Konversionstherapien mehrmals scharf kritisiert. Es ist höchst fragwürdig, Homosexualität und auch weitere sexuelle Orientierungen als Krankheiten zu verstehen, die heilbar sind“, so EKHN-Pressesprecher Rahn. Seit 2002 sind Segnungen von gleichgeschlechtlichen Paaren in der EKHN möglich. Seit dem 1. Januar 2019 heißen diese auch offiziell „Trauungen“. 

* Der Name ist der Redaktion bekannt 

zum Themen-Special "Homosexualität"

[Von Sebastian Theuner] 


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