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Erfahrungsbericht

"Sind wir schon online?" - Live-Talkrunde über Kirche Morgen mit viel Begeisterung

Teilnehmer*innen an Tischen.

Von links: Tabea Kraaz (Vikarin) hatte die Veranstaltung vorbereitet, Carina Dobra (Redakteurin der Evangelischen Sonntags-Zeitung) moderierte, Pfarrer Lutz Neumeier sorgte für Licht und Ton, Jörg Niesner (Gemeindepfarrer in Laubach), Ina Wittmeier (Ehrenamtsakademie), Lotte Jung (Gefängnisseelsorgerin) und Lukas Hille (Vikar).

Lust zum Scheitern, Herzenswärme und Heiliger Geist: Wir sprachen in unserer Live-Talkrunde auf facebook über die 11 Leitsätze der EKD und träumten von Kirchen Morgen.

Da bin ich gerade frisch als Spezialvikarin im Medienhaus. Als Vikarin (Pfarrerin in Ausbildung) habe ich für ein halbes Jahr einen speziellen Auftrag bekommen: Social Media und Digitale Kirche im Medienhaus unterstützen. Kaum bin ich also da, flattern uns die 11 Leitsätze der EKD für eine aufgeschlossene Kirche in Haus. Auf Social Media wird heiß diskutiert. Als junger Mensch, der einmal für die Kirche arbeiten will, lässt mich das nicht kalt. In mir kommt der Wunsch auf, diese Diskussion aufzugreifen und mit möglichst vielen Menschen zu diskutieren, die sich mit der Kirche verbunden fühlen. Also zettelt die Spezialvikarin einen Live-Talk an. Das ist ein echtes Experiment, denn das hat es so auf ekhn.de noch nicht gegeben.
Mir war vorher nicht klar, dass ich dadurch viele zerstörte Urlaubspläne, tiefe technische Krisen und ganz, ganz viel Spaß bei der Sache auslösen würde.

Chronik eines angezettelten Live Talks, der um 20 Uhr beginnen soll

18:00: Kollege Lutz Neumeier, neu als Social-Media-Pfarrer im Medienhaus, hat schon alles aufgebaut, als ich in den Konferenzraum des Medienhauses komme, wo der Talk stattfinden soll.

18:02: Ich erfahre, dass wir keinen Ton haben. Und kein Bild. Und keinen Stream. Das WLAN macht uns einen Strich durch die Rechnung… Es fehlt auch noch ein Mikrofon.

18:30: Die ersten Talk-Gäste kommen. Ich bin froh, dass Pfarrer in Ausbildung Lukas Hille so entspannt ist.

19:00: Gefängnisseelsorgerin Lotte Jung und Gemeindepfarrer Jörg Niesner trudeln ein. Ich führe hektische Telefonate. Sätze fallen wie: „Wir brauchen den anderen WLAN-Code!“ – „Bring mir noch ein Mikro!“ und: „Ich verzweifle gleich!“

19:45: Wunder geschehen: Sebastian Jakobi, Chef für Radio und TV im Medienhaus, löst das WLAN-Problem! Die Technik steht! Ein fünftes Mikro wird geliefert! Zwischendurch begrüße ich den vierten Talk-Gast, Ina Wittmeier, Leiterin der Ehrenamtsakademie und treffe letzte Absprachen mit der Moderatorin, Carina Dobra, von der Sonntagszeitung. Mein Motto des Abends: „Habt Spaß!“

20:00: Kaum zu glauben. „Sind wir online?“ – Ja, wir sind online.

20:08: Carina Dobra bittet um Eingangsstatement…. Herausforderung für Kirchenmenschen: In nur 2 Minuten!

20:09: Pfarrer in Ausbildung Lukas Hille springt ins kalte Wasser und startet mit seinem ersten Statement: „Kirche muss sich so verändern, dass sie nicht mehr darauf wartet, dass die Menschen zu ihr kommen.“ Er wird für dieses Statement von der untergehenden Sonne im Hintergrund hell erleuchtet – was allerdings das ganze Bild kurzzeitig in große Dunkelheit stürzt.

20:12: Lutz Neumeier rettet die Lage: Eines der EKHN-Banner schützt vor den schädlichen Auswirkungen der Abendsonne und normalisiert das Bild. Lotte Jung hält fest: „Ich denke, wir haben keine Glaubenskrise, sondern eher eine Krise der Institution.“

20:15: Ina Wittmeier ist an der Reihe und sagt zu den 11 Leitsätzen der EKD, das einige Stellen richtig gut seien: „Super wäre zum Beispiel die Unterschiede zwischen Haupt- und Ehrenamt abzubauen.“

20:17: Jörg Niesner setzt einen anderen Akzent. Er hat über instagram viel Kontakt zu Leuten, die sonst nicht in die Kirche kommen: „Mir ist aufgefallen, dass die junge Generation unheimlich viel Fragen hat. Insofern denke ich auch nicht, dass wir eine Glaubenskrise haben. Aber wir haben eine Krise, weil wir viele dieser Menschen nicht mehr erreichen.“

20:19: Die Diskussion nimmt Fahrt auf: „Es gibt streitbare Punkte!“ Jetzt wird es langsam so spannend, dass ich den Überblick über die Zeit verliere….

Mein erstes Highlight: (Sonntags?-)Gottesdienst

Muss Gottesdienst denn immer Sonntagsmorgens um zehn sein? „Kirche könnte doch auch was Spirituelles anbieten für einen Donnerstabend, nach einem blöden Arbeitstag“, so Jörg Niesner. Ina Wittmeier macht stark, dass wir nicht nur neue Formen erfinden müssen, sondern vor allem wahrnehmen, was schon da ist: „Es gibt diese Vielfalt schon.“ Es finden wohl nur nicht genug Leute diese tollen, vielfältigen Angebote. Wir träumen gemeinsam von der einen App, wo man deutschlandweit Gottesdienste und kirchliche Veranstaltungen suchen und finden kann.

Dabei sind nicht alle von den vielfältigen Angeboten der Kirche über den Sonntagsgottesdienst hinaus überzeugt. Kritischer Kommentar von Lisa Maria, die sich unserem Video zugeschaltet hat: „Mein Gefühl ist: Kirche an anderen Orten / in anderen Formen gibt es - ja. ABER: Das bitte immer nur on top, ohne den klassischen Sonntagsgottesdienst grundsätzlich anzutasten.“

Nächstes Highlight: Ringen um die Kirchenglocken

Lukas Hille macht erneut den Aufschlag: „Kirchenglocken sind so ein emotionales Thema, Kirchenglocken bedeuten den Leuten etwas. Und auf der anderen Seite sind Kirchenglocke eine Metapher: Wo die Glocken nicht mehr läuten, da ist Kirche nicht mehr.“ Lotte Jung hakt ein: „Wenn die Glocken läuten, ist eine Gemeinde da. Ob es dann die Gemeinde Jesu Christi oder vielleicht eine kulturelle Gemeinde, die Kirche als Kulturgut wachhalten will - Das ist eine Entscheidung, die gut geprüft werden muss.“
Jörg Niesner stellt klar: „Jesus hat keine Glocken gekannt.“

Madeleine Heckelmann schreibt passend dazu: „Kirche und Glauben ist für viele inzwischen identisch mit dem Sonntagsgottesdienst. ‚Wenn wir nicht mehr (nur) Sonntagsgottesdienst machen, sind wir dann noch Kirche?‘ Wir vergessen und verschweigen dass Kirche und Glaube mehr ist.“

Eine Frage der Haltung: Von der Lust zum Scheitern, der Wärme in der Kirche und dem Vertrauen auf den Heiligen Geist

Irmela Fröhlich aus dem Publikum wünscht sich für die Kirche: „Wärme, Heimat, Gemeinschaft!“ Jörg Niesner wünscht sich etwas ganz Ähnliches: „Das ist unser echter Mehrwert für uns als Kirche, dass Menschen bei uns häufig Wärme empfinden.“ Dabei geht es auch darum, mal was auszuprobieren. Ina Wittmeier freut sich darüber, dass es in Frankfurt sog. „Fuck-Up-Parties“ gibt, wo sich Existenzgründer und Existenzgründerinnen treffen und erzählen, wie sie gescheitert sind. Sie werden auf diesen Parties für ihren Mut gefeiert, von ihrem Scheitern zu erzählen und dafür, dass sie weitermachen. „Vielleicht feiern wir mal eine Fuck-Up-Party von Projekten, die in der EKHN gescheitert sind.“

Aber jetzt zum Geist. Johannes Kraus wirft im Chat ein: „Wo die Freude am Glauben in der Kirchlichen Arbeit ist, da ist der Heilige Geist nicht fern. Da will ich in meinem Pfarrdienst sein. Kein noch so Hippes Programm stoppt den Abwärtstrend...“ Jörg Niesner nimmt das auf: „Wo der Heilige Geist ist, da kann hippes Programm entstehen! Und dann wird’s auch gut.“

Wir gehen offline…

Ich bin total überwältigt, wie viele Menschen uns zugehört und zugeschaut haben. Ich bin überwältigt von den vielen Kommentaren und den vielen Male „Danke“ am Ende. Ich bedanke mich beim Publikum! Und ich bedanke mich bei meinen tollen Talkgästen und der wundervollen Moderatorin Carina Dobra.

Corinna Offenbach schreibt als Kommentar am Ende der Talkrunde: „Ich wünsche mir genau solche Gespräche in meiner Gemeinde vor Ort.“ Das wünsche ich mir auch. Es wird wichtig sein, die Diskussion um Kirche Morgen in die Gemeinden zu tragen. Wie Lukas Hille betont: „Die Diskussion darf nicht von oben nach unten geführt werden, sie muss von unten nach oben funktionieren.“ Mein Fazit: Lust zum Scheitern, Herzenswärme und Heiliger Geist… Ich träume von dieser Kirche Morgen und bin von Herzen begeistert.

Hier könnt ihr unseren Live-Talk als Video von vorne bis hinten nochmal sehen.
Viel Spaß beim Reinschauen und vor allem beim Weiter Mitdiskutieren - egal ob unter unserem Video, unter #KircheMorgen oder in der Gemeinde vor Ort.


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